Geschichte - Erzählen - Bewegen

Klaus Heuer

War früher nicht doch alles besser? – Erfahrungen und Reflexionen zum Lernen

Ein Roundtable mit Barbara Loer, Anne-Christel Recknagel, Joachim Dikau, Johannes Weinberg und Josef Ruhrmann

Redaktion: Klaus Heuer

Die Erzählerinnen und Erzähler dieser Runde sind sowohl Experten als auch Zeitzeugen und Betroffene. Expert/inn/en für die öffentlich verantwortete Erwachsenenbildung seit vielen Jahren, drei davon seit mehr als 50 Jahren. Das merkt man den Aussagen an. Zeitzeugen, weil ihre Geschichte eingebunden ist in die Allgemeingeschichte und sie das zu reflektieren verstehen. Und Betroffene, weil ihre Lebensgeschichte auch eine Lerngeschichte ist, zu der sie sich verhalten und dessen Teil sie sind.

Es sind ganz unterschiedliche Perspektiven, die in diesem Roundtable zur Sprache kommen. Es ist die Perspektive der langjährigen selbstständigen Kursleiterin, die Perspektive von zwei ehemaligen VHS-Leiter/inne/n und von zwei Professoren, der sogenannten 1. Generation der Lehrstuhlinhaber/innen in der Erwachsenenbildung. Es sind zeitgeschichtliche und persönliche Perspektiven, als Heranwachsende im Nationalsozialismus, als von der 68er Bewegung Geprägte, als Frauengeschichten.

Es sind Vertreter/innen der Jahrgänge zwischen 1920 und 1945, die hier zu Wort kommen. Sie vermitteln Einsichten in die durch die Gesellschaftsgeschichte und –politik geprägten Erfahrungen spezifischer Generationen, und ihren Auswirkungen auf ihr Verständnis von Erwachsenenbildung.

Beteiligt waren, Anne-Christel Recknagel (langjährige Kursleiterin an der Volkshochschule Stuttgart und Lehrerin am Abendgymnasium), Josef Ruhrmann, (ehemaliger Leiter der Volkshochschule Aachen), Joachim Dikau (emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik an der FU-Berlin), Johannes Weinberg (emeritierter Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Münster) und Barbara Loer (ehemalige Volkshochschulleiterin in Bremen).

Die Teilnehmenden haben alle ein engagiertes Verhältnis zur Geschichte der Erwachsenenbildung: Sie haben dazu publiziert und/oder sind schon länger in diesem Arbeitskreis aktiv.

Die Idee für ein vorbereitetes Roundtable war entstanden, um eine mündlich erzählende Arbeitsform stark zu machen, die im Zusammenhang mit dem Tagungsthema profunde Statements erlaubt und situationsbezogen ist. Die Fragestellungen waren den Teilnehmenden schon vorher zugesendet worden.

1. Fragerunde: Lebenslanges Lernen – selbst erlebt

Die Fragestellungen an die Runde waren: Wie haben Sie Erwachsenenbildung gelernt? Können Sie das Spektrum für Sie wichtiger Lernanlässe und Bearbeitungsformen skizzieren? Wie unterscheidet sich Ihrer Auffassung nach das Lernen in unterschiedlichen Lebensaltern?

Joachim Dikau

Drei Fragen, und die erste ist schwierig: Was heißt schon „Erwachsenenbildung gelernt“? Im weitesten Sinne geht es beim „Lernen“ um die ständige Suche nach Orientierung und Weltverständnis, und auch um die Gewinnung von Kompetenzen zur eigenen Selbstbehauptung im Leben. Da gibt es eine Fülle von Lernanlässen und Erfahrungen, die auch ihre Auswirkungen auf die Tätigkeit in der Erwachsenenbildung haben. Was mich nun betrifft, ist es mehr eine Kette von Zufälligkeiten, von Ereignissen, Begegnungen, Erfolgen und Enttäuschungen, die verarbeitet sein wollen. - Und wenn man nun eher an die organisierte Form der Erwachsenenbildung denkt, bin ich ein reiner „Quereinsteiger“, der überhaupt erst nach 30 Lebensjahren genauere Vorstellungen über die Volkshochschule gewonnen hat.

Als Kind geprägt war ich von den Lebensbedingungen der Nazi-Zeit: in einem konservativen, deutsch-nationalen Elternhaus, im ostpreußischen Grenzgebiet, mit gegnerischer Einstellung zu den benachbarten Polen, durchaus auch vom Antisemitismus beeinflusst, jedenfalls im Kontext der Identifizierung mit der „Volksgemeinschaft“

Diese Welt brach 1945 zusammen: verlorener Krieg, verlorene Heimat, verlorenes Elternhaus – scheinbar überhaupt verlorene Lebensperspektive. Heute sehe ich diese Erfahrungen eher als Anlässe zu neuen Lebenschancen. Aber auch als Herausforderungen zu Lernprozessen: in diskriminierender Landarbeit als Zugelaufener, dann in der kaufmännischen Lehre in einer Kleinstadt in der Lüneburger Heide. Der Chef: ein Sozialdemokrat – für mich eher ein Kollaborateur mit der englischen Besatzungsmacht. „Demokratie“ war für mich noch ein negativ besetzter Begriff.

Lernendes Einleben in die neue Welt brauchte eben seine Zeit – ich machte es mir nicht leicht, denn ein „Wendehals“ war ich nicht.

Es gab auch schon eine Volkshochschule, und ich belegte Kurse in Stenografie und Englisch; beides gefiel mir nicht; ich gehörte dann zur Drop-Out-Quote. Erst später, im Braunschweig-Kolleg, erlebte ich neue Formen des Lernens, schon als Erwachsener. Andere Kollegiaten waren schon in Hustedt in der Heimvolkshochschule gewesen. Da traf ich zum Beispiel auf Gewerkschaftler, die mir neue Einsichten vermittelten, auch über den Sinn von „Arbeiterbildung“ – für mich auch später ein wichtiges Thema.

Und dann, als Student an der Freien Universität Berlin, erhielt ich dazu von Fritz Borinski, meinem damals wichtigsten Hochschullehrer, wertvolle Impulse. Er hat mir die Zugänge zur Theorie der Erwachsenenbildung eröffnet und auch bedeutsame Kontakte geschaffen zum Deutschen Volkshochschulverband mit seiner Pädagogischen Arbeitsstelle in Frankfurt.

Die Beschäftigung mit dem Lernen von und mit Erwachsenen war von besonderem Nutzen auch für meine Tätigkeit als Lehrer an kaufmännischen Berufsschulen und danach als Hochschullehrer. Dabei spielten die methodischen Gesichtspunkte für mich immer eine große Rolle; insbesondere hat mich in diesem Zusammenhang auch der Medieneinsatz interessiert. Die neueren Entwicklungen mit dem Internet gehören allerdings eher in die Lern- und Lebensphasen des nachberuflichen Alters. Darauf werden wir sicherlich noch in einer der nächsten Runden zurückkommen.

Anne-Christel Recknagel

Meine Flexibilität im Unterricht entsteht auch durch die Fortbildungen der Volkshochschule Stuttgart, die ich mitmache. Insbesondere durch den Methodenparcours in der Sprachdidaktik, der alle 3- 4Jahre stattfindet. Da sind immer wieder neue Methoden angesagt, darunter auch die Methode des E-Learnings. Das erweitert meinen Blick und meine Fähigkeiten zu unterrichten.

Das allerwichtigste für meine Lehrtätigkeit waren die Erfahrungen mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Da bin ich sehr konservativ geblieben, nicht im engen Sinne, sondern im Beibehalten von Erfahrungswerten über die Zeit hinweg, die sich als erfolgreich erwiesen haben.

Eine wichtige Station war für mich die 68er Bewegung. Wir haben schwer gearbeitet und nicht nur Sit-Ins gemacht. Wir haben sehr aufwendig Seminar - und Vorlesungskritik geleistet. Ich war damals in Bonn und ich habe eine Basisgruppe zur romanischen Literaturwissenschaft geleitet. Die Arbeitsergebnisse waren so gut, dass wir die Kritiken veröffentlicht haben. Auch wenn ich heute in die Veröffentlichung reinschaue, stelle ich fest, dass sie mit den sauberen Methoden verfasst wurde, die uns beigebracht worden waren.

Unser Ethos, war das Ethos des praxisorientiertes Wissens. Für die 68er, das war klar, war es wichtig, möglichst rasch aus dem akademischen Gehäuse herauszukommen. Das habe ich erprobt in der Arbeit mit italienischen Gastarbeitern sowohl in Bonn wie in München und Stuttgart, als ich hier an der Universität unterrichtete.

Die wichtigste Thematiken war immer wieder der Kulturvergleich und das sich Zurechtfinden hier. Die meisten Teilnehmenden kamen aus Sizilien. Ich hatte meine Dissertation über ein Thema aus dem sizilianischen Raum gemacht, so dass ich das sehr gut verwerten konnte. Außerdem war ich selbst lange in Sizilien zu längeren Forschungsaufenthalten gewesen und war dadurch sehr vertraut geworden mit anderen Mentalitäten.

Sizilien war damals noch sehr verankert in Überresten orientalischer Traditionen und jahrhundertelangen Kulturassimilationen. Was mir auch heute sehr zustatten kommt, wenn ich unterrichte, vor allem im Abendgymnasium, Wir haben vor allem Migrantinnen aus dem Irak und Iran, aus Syrien und Südeuropa, die eben auch diese Verwandtschaftsmentalität haben, und denen ich ganz anders begegnen kann wie viele meiner Kolleginnen.

Nach dieser langen Unterrichtstätigkeit wirklich feststelle: die starke Zielorientierung, die in den jüngeren Altersgruppen da ist, lässt nach. Wir altern zusammen mit den Kursteilnehmern, die ich schon seit 8 bis 9 Jahren in meinen Kursen habe. Und es sind immer stärker personenbezogene Themen, die in den Vordergrund treten. Und vor allen Dingen, man lässt sich immer mehr Zeit, nachzudenken, über unsere Stellung in der Gesellschaft und wie sie sich verändert.

Josef Ruhrmann

Ich bin Jahrgang 1920 und ich habe Erwachsenenbildung erfahren und gelernt.

Ich habe an einem Abendgymnasium zwischen 1951 und 1953 in Dortmund Abitur gemacht. Vorher war das nicht möglich, weil mein Vater Briefträger war und das nicht bezahlen konnte: Natürlich hat diese – für mich damals sehr enttäuschende - Erfahrung meine Einstellung zur Erwachsenenbildung, v.a. zur Bezahlbarkeit von Bildung für Alle geprägt.

Und dort am Abendgymnasium war ein Vater der Erwachsenenbildung tätig, Theodor Schlothe. Wir konnten auf dem Abendgymnasium unsere Lehrer selbst bestimmen. Wir konnten sie abwählen, wenn sie uns nicht gefielen. Das war eine vorbildliche Form von Selbstgestaltungsmöglichkeiten in der Erwachsenenbildung.

Ich musste täglich dorthin fahren, und habe außerdem nebenberuflich noch gearbeitet als Buchverkäufer für eine Reisebuchhandlung. Ich bin also in die Büros gezogen und habe Bücher verkauft. Das habe ich durchgezogen bis zum Studium, weil das notwendig war, um meinen Lebensunterhalt zu bezahlen.

Vielleicht noch eine Erfahrung, die wichtig ist, für die Lernerfahrung überhaupt. Wenn jemand etwas lernen will, dann muss eine Beziehung zwischen Lehrenden und Lernendem hergestellt werden. Da ich zwei Jahre bei der Kriminalpolizei war, hatte ich damals vor, Jura zu studieren, aber es kam anders. Während der Zeit am Abendgymnasium hatte ich eine Lehrerin, mit der ich eine besondere lernende Verbindung hatte, Frau Dr. Wölpke, die hat mich dazu gebracht Geschichte zu studieren. Die hat Geschichte so intensiv so überzeugend vorgetragen, hat mich ernst genommen, mich ermutigt, weiter zu lernen, so dass ich umgestiegen bin und in Bonn und vor allem in Freiburg dieses Fach studierte.

Nach dem Studium hatte ich drei Möglichkeiten. Einmal konnte ich Assistent bei Loriot werden, oder Redakteurlehrling bei Readers Digest oder Volkshochschulassistent bei Karl-Heinz Klugert in Dortmund, auch einem Vater der Erwachsenenbildung. Dafür entschied ich mich. Dort habe ein Jahr eine Ausbildung im Volkshochschulwesen gehabt. Das war sehr intensiv, theoretisch und auch praktisch. Wir haben Seminare veranstaltet und haben Seminare besucht. Nach dem Studium der Erwachsenenbildung in Dortmund hatte ich wieder drei Möglichkeiten. Ich konnte an die Volkshochschulen Siegburg oder Wuppertal oder Aachen gehen.

In Siegburg hätte ich mit dem Pastor zusammenarbeiten müssen, das wollte ich nicht. Nach Wuppertal wollte meine Frau wegen der Industriebetriebe nicht, weil unsere kleine Tochter asthmatische Beschwerden hatte. So blieb Aachen übrig und so bin ich Ende 1962 nach Aachen als erster pädagogischer Mitarbeiter gekommen. Die Volkshochschule hatte einen Geschäftsführer, eine Anmeldefrau und eine Sekretärin. Das war alles. Ich war dort drei Jahre erster pädagogischer Mitarbeiter und wurde 1967, nachdem der bisherige Leiter ausgeschieden war, Leiter der Volkshochschule. Dort habe ich dann die Möglichkeit gehabt, mich auszuleben und die Volkshochschule voranzutreiben. Mit welcher Form und Energie möchte ich hier gar nicht darstellen.

Ich bin dann 1985 aus der Volkshochschule ausgeschieden. Bin aber immer noch mit der Volkshochschule belastet. Meine Frau, die 27 Jahre jünger ist als ich, ist stellvertretende Leiterin an dieser Volkshochschule. Ich habe sie dort kennengelernt. Jeden Abend werde ich mit Volkshochschule konfrontiert und muss mich zu allen Dingen äußern, die dort vorkommen. Es ist ein Glück und natürlich auch eine Strafe.

Barbara Loer

Ich bin eine Quereinsteigerin. Meine Erwachsenenbildungsanlässe, das waren die Kritische Universität in Berlin und das Philosophiestudium von 1965 und 1970, indem wir uns intensiv mit dem Verhältnis zwischen Theorie und Praxis beschäftigt haben. Das war auch der Anlass für die Lektüre von Oskar Negt.

Danach habe ich Jugendbildungsarbeit in Hamburg gemacht. Und da war ganz klar, dass man die Grundzüge der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung erst mal lernen musste. Ich war dann für 10 Jahre Teamerin für die GHK (?), die IG Metall und vor allem für die linke IG Chemie; bis Ende der 1979, wo das dann zu Ende war. Ein bisschen gelernt habe ich an der Akademie der Arbeit, weil dort eine riesige Menge von sehr unterschiedlichen Leuten, aus sehr unterschiedlichen Betrieben und mit ganz unterschiedlichen Interessen zusammentrafen, und ich als Dompteuse, allgemeine pädagogische Mitarbeiterin, darauf zu achten hatte, dass die Gegensätze nicht überhand nahmen.

Ein wichtiger Lernanlass ist immer die Familie. Meine Familie war antifaschistisch. Wir haben alle gelernt: dass Zivilcourage, Selbstdisziplin und die Behandlung aller Menschen auf gleicher Augenhöhe zu achten, das wichtigste im Leben sind. Und das haben wir alle auch verinnerlicht.

In der Schule habe ich beklagenswerter Weise, nur außerhalb der Unterrichtszeit gelernt. Im Unterricht habe ich mich tierisch gelangweilt, Ich bin dann auf die Schülermitverwaltung, die Schülerzeitung und die REVO (?) umgestiegen.

Sehr viel gelernt habe ich in der Studentenbewegung, sowohl in der Gruppe als auch politisch, kognitiv und emotional.

Noch mal viel gelernt habe ich bei dem Versuch, die Anweisungen von Oskar Negt in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung umzusetzen. Das war nicht einfach, aber spannend.

Ich habe zehn Jahre lang in der Bremischen Zentralstelle für die Gleichstellung der Verwirklichung der Frau als stellvertretende Landesfrauenbeauftragte gearbeitet und dabei alles über Vorurteilsbildung und Vorurteile gelernt, was man wissen kann. In der direkten Konfrontation in der Regel und sehr viel über das Management. Das Managementfeld war im Grunde die gesamte Stadt.

Das habe ich dann nutzen können für ein internes Management im für 4 Jahre existierenden Ressort für Kultur und Ausländerintegration in Bremen und in der VHS-Leitung, auch da habe ich etwas gelernt. Das habe ich dann 6 ½ Jahre gemacht. Und da habe ich auch etwas hinzu gelernt. Ungern zwar, aber notwendig. Nämlich, dass nicht nur die demokratischen Strukturen wichtig sind, sondern auch diejenige Person, die die Leitung einer solchen Einrichtung inne hat, einen nicht unwesentlichen Stellenwert hat. Es sind leider nicht nur die demokratischen Strukturen, die zählen.

Abschließend möchte ich noch etwas Grundsätzliches zum Lernen sagen: Der Mensch im lebensweltbezogenen Lernen ist ein Zweck für sich selbst. Im betrieblichen Lernen ist er in der Regel ein eingesetztes Mittel für den Zweck des Betriebs. Das ist ein großer Unterschied. Beim betrieblichen Lernen muss man auch noch einmal unterscheiden, ob man lernt für den Betrieb, dann ist man Mittel, oder ob man selbst lernt betriebsbezogen für den Umgang mit dem Betrieb. Das ist dann, die gewerkschaftliche Bildungsarbeit, wenn sie gut ist. Und dann ist der Mensch wieder Zweck.

Noch ein Wort zum unterschiedlichen Lernen in unterschiedlichen Lebensaltern: ich denke auch, dass sich Lernen routinisiert, wenn man es so viel tut und tun will, wie Menschen in unseren Berufen. Dass es aber auch hilft, neue Anlässe zu erkennen.

Letzter Punkt: Ich lerne im Augenblick am meisten von meinem Sohn und seinen Kumpels.

Johannes Weinberg

„Diedrich Heßerling war ein ängstliches Kind“, so steht es auf der ersten Seite von Heinrich Manns Roman „Der Untertan“. Und wie verlernt man Angst? Ich denke, wenn man merkt, dass Angst eigentlich keine schöne Sache ist, dann bemüht man sich zu lernen.

Und so kann ich nur sagen, ich habe Erwachsenenbildung gelernt, indem ich Erwachsenenbildung gemacht habe. Learning by doing. Das ist nach wie vor für mich die einzige Methode, an die ich glaube. Ich bin alles andere als ein Pädagoge.

Aber ich habe als Jugendlicher sehr viel sozialpädagogisch gearbeitet. Ich habe auch beruflich gearbeitet, in einem Dienstleistungsunternehmen in einem britischen Offizierskasino. Da habe ich von meinem 15. Lebensjahr an als Telefonboy gejobbt.

Ich habe im Laufe des Lebens gelernt, dass man im Laufe des Lebens lernen kann, wenn man was tut. Was dabei heraus gekommen ist, dass ich nur lernen kann, wenn ich eine Dienstleistung erfülle. Das ist meine Sozialisation. Wenn ich brav bin, dann lerne ich, wenn ich meine Arbeit mache.

Wenn ich etwas falsch mache, das ist im Berufsleben so, dann werde ich korrigiert; entweder von diesem oder jenem. Und langsam lernt man, sogar sich selbst zu korrigieren. Das ist eigentlich schon die ganze Geschichte, wie ich Erwachsenenbildung gelernt habe.

Vielleicht sollte ich noch eins sagen, nachdem ich über mehrere Jahrzehnte in der Erwachsenenbildung tätig gewesen bin. Ich war nie ein erfolgreicher Teilnehmer von Kursen einer Volkshochschule. Ich habe einen Versuch gemacht, französisch zu lernen, und habe den Kursus abgebrochen. Ich habe versucht, portugiesisch zu lernen und bin aus dem Kurs herausgegangen. Und dasselbe habe ich mit dem Spanischkurs gemacht.

Das sind, wenn man so will, misslungene Versuchsballons. Ich habe darüber nachgedacht: Warum das nicht geklappt hat. Und da ich selbst auch Kurse gegeben habe, habe ich mich gefragt, was war daran erfolgreich oder nicht erfolgreich, was hat geklappt und was hat nicht geklappt. Hat es etwas mit früher oder später zu tun?

Nein, es hat nichts mit früher oder später zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass beim Lernen, so habe ich den Eindruck, etwas gelingt, wenn so etwas zustande kommt, wie eine korrespondierende Kommunikation. Die kann ganz unterschiedlich ablaufen. Die korrespondierende Kommunikation, die jeder Mensch als gelingende oder misslingende kennt, aus seinem Leben kennt, die ist auch für das Lernen wichtig. Wenn sie nicht klappt in der Arbeit, dann ist das mit der Arbeit schwierig, und dann ist auch das Lernen in der Arbeit schwierig. Das gilt auch für das Lernen in Kursen.

Insofern würde ich sagen, Es gibt kein eigenständiges pädagogisches Wissen, das uns dazu bringen könnte zu sagen, wie macht man erfolgreich Erwachsenenbildung, sondern man muss einfach auf die korrespondierende Kommunikation achten. Und wenn ich die willentlich unterbreche bzw. nicht zustande kommen lasse, dann hat man die Folgen zu tragen. Und wenn sie gelingt, dann kann man darüber nachdenken, warum ist sie gelungen. Das ist das Ganze. Warum man heute Erwachsenenbildung studiert, weiß ich nicht.

2. Fragerunde: Lebenslanges Lernen – reflektierte Erfahrungen

Die Fragestellungen an die Runde waren: Was waren für Sie in Ihrer Berufsgeschichte besonders fruchtbare Lernangebote? Welche Rolle spielten die Lehrenden für erfolgreiches Lernen?

Joachim Dikau

Da gab es einmal der Lebensdruck, zumindest Chancen wahrzunehmen, um in schwierigen Situationen überleben zu können. „Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral“. Das weitere fand sich danach. Und dann sich politisch orientieren zu lernen und dann einen Beruf zu lernen und eine nützliche Dienstleistung zu machen, anschließend.

Dazu verdanke ich einiges denjenigen, die mir die Hilfe in der praktischen Lehre gegeben haben an der Berufsschule, und später dann auch an der Universität.

Hier habe ich dann Wirtschaftswissenschaften studiert und Pädagogik als 2. Fach, um Lehrer zu werden an der kaufmännischen Schule. Ich war dann an der Berufsschule für Einzelhandelskaufleute tätig.

In erster Linie war der Antrieb wieder das Streben nach Sicherheit. Es war nicht das Lebensziel. Ich wäre lieber nach Indien gegangen. Dann war ich im Studentendorf und habe geheiratet und mich für die sichere Position entschieden. Denn von der Unsicherheit hatte ich genug.

Aber das entscheidende war, dass ich zumindest etwas für eine solidarische und soziale Gesellschaft beitragen wollte. Denn das hatte ich sehr schnell erkannt, dass der Aufstieg der BRD mit der Selbstverständlichkeit der Marktwirtschaft nicht das sein kann, was langfristig zum Ziele führt. Natürlich haben wir für die Erhaltung einer freien Wirtschaft gearbeitet und auch gekämpft. Aber es musste noch etwas dazu kommen. Es konnte nicht allein der freie Wettbewerb sein, um den es geht.

Ich bin dann an die Universität gekommen, nach einem Umweg über das Studentendorf in Berlin. Und ich habe diese Universität von vorneherein nicht so verstanden, wie sich die Universität traditionell versteht.

Meinem Verständnis nach ist es die Aufgabe der Universität: Einerseits eine Berufsbildung auf hohem Niveau zu leisten, aber diese Berufsbildung verbunden mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und der Wissenschaft. Ich habe die Universität in einer Doppelfunktion gesehen. Dialektisch in ihrer Dienstleistungsfunktion einerseits und als kritische Instanz gegenüber der Gesellschaft andererseits. Und wenn sie eine Dienstleistungsfunktion übernimmt, dann, weil sie kritisch ist gegenüber der Gesellschaft und auch von der Gesellschaft dazu benötigt wird.

Und so habe ich die wissenschaftliche Arbeit verstanden und so habe ich versucht, die Erwachsenenbildung zu verstehen. Das bedeutete, eine neue Form der Zusammenarbeit mit den Studenten. Wir haben dann nach meiner Berufung 1970 an die PH Berlin versucht, ein Projektstudium einzuführen, das freies Arbeiten, anschauliches Arbeiten, in der Zusammenarbeit mit der Praxis umfasste. Auf der anderen Seite dann aber auch strukturierte Einführungen, dort wo sie nötig waren, aber auch mit einem individuellen Zuschnitt auf die jeweilige Situation der Studierenden. Denn auf die Studierenden kommt es in erster Linie an. Für dieses Konzept habe ich geworben. Um die Zusammenarbeit mit Volkshochschulen, mit Gewerkschaften, auch als Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung und in der Studienleitung der Verwaltungsakademie. Und ich habe versucht Volkshochschule und Berufsbildung zusammenzubringen. Zu diesem Thema habe ich auch in meiner Dissertation eine historische Analyse geschrieben.

Der Pädagoge: Er kann nur Handlungsspielräume öffnen, wo der einzelne dann lernen kann, seine Rolle zu verstehen, die Gesellschaft zu verstehen und in der Gesellschaft angemessen zu handeln, und Orientierungshilfe zu bekommen und sich solidarisch für andere einzusetzen

Dazu aber muss er Hinweise geben, dazu überhaupt die Chance geben, dass Studierende überhaupt an die Fragen herankommen an die Literatur und auch im Verständnis für diejenigen, denen der Weg an die Hochschulen nicht vergönnt ist.

Ich glaube nicht, dass irgendeine der pädagogischen Theorien und der didaktischen Ansätze, die alle etwas Wichtiges aussagen, ein Patentrezept bieten können, für das richtige pädagogische Verhalten. Wohl aber können sie Hinweise geben, unter welchen Bedingungen sich eventuell ganz bestimmte Folgen ergeben und Ziele erreichen lassen. Und zu analysieren, in welcher Situation diese Methoden jeweils einsetzbar sind. Dies zu vermitteln, so habe ich mein Berufsverständnis als Erwachsenenbildner und Hochschullehrer verstanden.

Anne-Christel Recknagel

In vielem würde ich mich anschließen. Von der politischen Dimension der Pädagogik. Sein Handwerkszeug nicht abgelöst von der Gesellschaft zu sehen und das weiter zu geben, an seine Studentinnen und Studenten.

Weil Sie alle von ihrem Bildungsweg gesprochen haben und ich den nur in kurzen Punkten angedeutet habe, muss ich dazu noch etwas sagen.

Ich fühlte mich in meinem Dolmetscherinstitut an der Universität Heidelberg gut. Das war etwas Besonderes, denn da studierten vorwiegend Frauen an diesem Institut. Und da habe ich das noch nicht in dem Maße empfunden, wie dann später an der Universität. In meinem späteren Romanistikstudium an der Universität habe noch richtig krass, wie meine Tochter sagen würde, die Diskriminierung und an den Randstellen der weiblichen Belegschaft einer Universität erlebt. Richtig massive Diskriminierung. Es war noch nicht lange her, dass Ralf Dahrendorf die Untersuchung gemacht hatte: Die Rolle der Studentin an der Universität. Was da herauskam unter dem Strich: Unter den Studenten und Professoren stand die dekorative Rolle der Studentinnen im Zentrum. Ich habe das mehrmals erlebt in den Seminaren. Es klopfte uns das Herz bis zum Hals, wenn wir überhaupt etwas sagen wollten

Ich habe mir als Frau Platz an der Universität, den ich später hatte, schwer erkämpft. Ich habe keine Förderung erfahren, wir hatten keine Netzwerke als Frauen an der Universität. Ich hatte promoviert. Weil ich aber nicht bei meinem Doktorvater geblieben bin, wurde ich auch nicht weiter gefördert. Man hatte mir die Veröffentlichung meiner Dissertation in Aussicht gestellt. Man kam nicht mehr darauf zurück. Ich wusste nicht, wie man sich da am besten verhält.

Meine Lernerfahrungen liegen immer wieder in den Dingen, die ich mir in eigener Initiative geschaffen habe: Meine Auslandaufenthalte, meine Au-Pair-Aufenthalte in italienischen Familien. Und wenn ich überhaupt Lernerfahrungen durch andere machte, dann nur am Dolmetscherinstitut durch italienische Lektoren und Lektorinnen. Die brachten uns eine andere Realität nahe wie die der BRD in den 1950er Jahren.

Die Rolle der Lehrenden war enorm wichtig, mit der Ausnahme Universität. In der Volkschule hatte ich eine Frau als Klassenlehrerin, die meine ganze Neugierde geweckt hatte. Sie bleibt mir im Gedächtnis, weil sie mein Interesse für Geschichte geweckt hat. Am Gymnasium war es eine Frau, mein Klassenlehrerin. Sie war unser Idol, für die wir geschwärmt haben, die mir Vorbild geblieben ist. Am Dolmetscherinstitut war es die einzige Frau, die L:eiterin einer Abteilung war. Die haben bestimmt ganz unbewusst mir meinen Lebensweg geprägt.

Josef Ruhrmann

Entscheidendes hatte ich schon vorher gelernt, nämlich dass das Leben aus Anpassung und Widerstand besteht. Ich war 17 Jahre alt und Mitglied einer katholischen Jugendbewegung und in diesem Zusammenhang hatte ich eine Auseinandersetzung mit der Gestapo. Und die Konsequenz war, dass ich mich nach meiner Lehre nicht um Arbeit bemühen, sondern1938 zur Zwangsarbeit am Westwall geschickt wurde. Das hieß, von morgens um 6 Uhr bis abends um 6 Uhr, immer zwölf Stunden Arbeit, und das vierzehn Tage lang hintereinander und einen Sonntag frei.

Und eine solche Zeit können Sie nur überleben, wenn Sie sich anpassen und gleichzeitig Widerstand leisten. Ich weiß noch genau, wie wir dabei überlebt haben. Da waren viele Kollegen dabei, die sich in der gleichen Weise äußerten und auch fühlten. Wir haben also Widerstand geleistet, in dem Moment, wenn sich das Aufsichtspersonal ein wenig abwandte, haben wir nichts mehr getan. Und angepasst, indem wir einen Arbeitsrhythmus einhielten, der dem Aufsichtspersonal gerade noch passte und uns nicht völlig kaputt machte. Das war eine Erfahrung, die mich bis heute noch prägt. Indem ich davon ausgehe, dass das Leben in Anpassung und Widerstand besteht.

In der Weiterbildung als pädagogischer Mitarbeiter und später als Leiter der VHS Aachen gab es auch noch ganz persönliche Lernanreize. So ist es mir auch gelungen, in der Pädagogik Fuß zu fassen. So hatte ich einen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule in Aachen, durch Professor Pöggeler vermittelt. Wenn ich davon ausgehe, sind meine Erfahrungen mit dem Lernen einmal durch das Leben geprägt und durch die Erfahrungen mit Institutionen, die für Lernen verantwortlich und zuständig waren.

Barbara Loer

An der Uni ist für mich am relevantesten gewesen, vielleicht auch wegen der Wahl meines Studienfachs und der Studentenbewegung, wie wichtig es ist, selbständig zu denken, und sich in einer stetigen Reflexion des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis nicht beirren zu lassen. Entweder durch zu viel Praxisanforderung oder durch ein theoretisches Übergewicht.

In der Jugendbildungsarbeit in Hamburg habe ich Grundzüge der außerschulischen politische Bildungsarbeit gelernt mit Jugendlichen aus dem Einzelhandel, aus dem Großhandel, aus den Versicherungen - die mir viel beigebracht haben. Und ich selbst habe dann gelernt, wie man es fertig bringt, Sie müssen bedenken Anfang der 1970er, da gab es das noch gar nicht, selbstständig einen Teamerinnenkreis aufzuziehen, mit Kolleginnen, die auch nicht wussten, was sie machen sollten. Und mit denen ein Konzept zu erarbeiten, unter den Bedingungen, dass man nicht .Klassenverhältnisse, sondern immer nur sozioökonomische Rahmenbedingungen sagen durfte.

Im Verein zur Förderung der Studienreform habe ich gelernt, wie man sehr unterschiedliche Gruppen moderiert. Da sollten nämlich Universitäten und Gewerkschaften zusammenarbeiten. Das bietet sich nicht vorneherein an, diese Kooperation.

Dabei habe ich auch gelernt Wie stark der Einfluss des Berufs. auf das Verhalten und den Charakter des Menschen ist.

Zehn Jahre habe ich gewerkschaftliche Bildungsarbeit gemacht. Dabei hab ich gelernt, wie abhängig der Erfolg politischer Aktionen und ihr Zustandekommen von ihrer gesellschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen einerseits und dem Engagement von einzelnen andererseits abhängig ist.

Und last but not least: in der Managementstellung habe gelernt, mit Gremien und Politik umzugehen. Ungern aber dennoch.

Alles das war nicht organisierter Lernprozess, aber Learning by doing, durchgängig.

Ein Wort zur Rolle der Lehrenden. Die Voraussetzung, dass er überhaupt eine Rolle haben kann, ist die, dass er authentisch ist, offen ist, allen Teilnehmerinnen auf gleicher Augenhöhe begegnet und das auch deutlich macht, und dass er parteilich ist. Es gibt keine neutrale Bildungsarbeit und gerade wenn sie sich für neutral hält, ist sie besonders parteilich. Wenn das alles erfüllt ist, dann hat er eine Rolle. Dann kann der Lehrende Wege aufzeigen. Laufen müssen die Menschen natürlich selbst, das ist klar.

Johannes Weinberg

Während meiner Zeit als Mitarbeiter entweder beim Hessischen Landesverband oder beim Deutschen Volkshochschulverband hat es eine ganze Reihe von Konferenzen gegeben, zu denen ich geschickt wurde und wohin ich auch gerne gefahren bin, auf denen Erwachsenenbildungsmenschen zusammenkamen und wichtige Themen auch politische Themen diskutierten, die die Erwachsenenbildung betrafen.

Und diese Begegnung und Gespräche waren wichtige Anregungen und Möglichkeiten, mir überhaupt vorzustellen, was Erwachsenenbildung will und zwar konkret will und meint. Und sagt, dass kann man auch real tun. Nicht Träume, nicht Theorien zur Erwachsenenbildung, sondern beeinflusst haben mich reale Gespräche auf Konferenzen. Und das konnten Konferenzen sein, in Österreich, in Chicago oder in Jerusalem usw. Ich bin ein Konferenzlerner gewesen, weil ich zugehört habe, und gefragt habe, weil ich neugierig war.

Und dann gab es unter den vielen Dingen eine Sache, die hat mich tief beeinflusst. Das war ein gruppenpädagogisches Seminar für Menschen aus der Erwachsenenbildung, das Tobias Brocher geleitet hat. Das war damals in Falkenstein.

Da habe ich etwas gelernt über die Tiefendimension von Lernen. Aber nicht im Sinne von Psychologie oder Psychoanalyse. Das kann man in Büchern studieren. Bloß was kann man daraus machen für den Beruf des Pädagogen. Das habe ich bei Tobias Brocher in diesem gruppendynamischen Seminar gelernt.

Das hat mich sehr, sehr stark beeinflusst, weil ich immer darauf geachtet habe, auch später als Hochschullehrer in Münster, die Ebenen zu beachten, auf denen ich gezwungen war zu kommunizieren. Man kann Prüfungsordnungen und Prüfungsbedingungen extensiv interpretieren, wenn es um Beratung von Studenten geht. Aber man kann über Lernstörungen, Partnerschaftsprobleme als Hochschullehrer in der Beratung nicht weit kommen. Ein sozialpsychologischer Freund hat mal gesagt: Johannes, weißt Du, für solche Sachen sind wir nicht zuständig. Die müssen dann in die Therapie gehen.

Das heißt, ich habe mir im Laufe der Zeit angewöhnt, darauf zu achten, mich nicht zu überfordern in meiner pädagogischen Arbeit mit Erwachsenen. Weil dieses Überfordern im Endeffekt dazu führt, dass die berufliche Tätigkeit zusammenbricht. Und, ich muss mir die Neugierde erhalten. Irgendwann musste ich lernen, was betrieblich-berufliche Weiterbildung ist. Davon hatte ich keine Ahnung. Ich hatte zwar in der Industrie gearbeitet, aber was war denn nun betriebliche Weiterbildung?

Und da hatte ich die Chance mit einem Kollegen in Dortmund, mit Klaus Künzel zusammenzuarbeiten. Der machte viel betriebliche Weiterbildung. Und dann war er noch in ein Projekt eingestiegen, Berufsfelderweiterung für Diplom-Pädagogen. Und da haben wir zusammengearbeitet und da habe ich betrieblich-berufliche Weiterbildung gelernt. So ist das mit dem Learning by doing.

Und ganz am Ende als die Wende kam, habe ich gelernt, als ich mich mit Menschen aus der DDR zusammen kam, habe ich gelernt, wie man im Realsozialismus Wissenschaftler werden konnte und was ich sogar auch von den Leuten lernen kann, die auf die kommunistische Seite gesetzt hatten. Natürlich war und bin ich demokratisch. Aber: wie lebt man im Realsozialismus und wie lebt man dort und bleibt auch noch Mensch dabei?

Ich habe viel gelernt in den letzten Jahren über die andere Seite von Deutschland. Über die wir während der Trennung der beiden deutschen Staaten nicht so viel lernen konnten.

3. Fragerunde: Lebenslanges Lernen – Perspektiven für die Zukunft

Die Fragestellungen an die Runde waren: Was ergibt sich daraus für die Zukunft des Lernens? Welche Rolle kann das Internet für das Lernen spielen?

Joachim Dikau

Ich will nicht meine Kindheit beschönigen und die damaligen Prägungen bagatellisieren. Aber ich habe die Chancen gehabt, mich damit lernend auseinanderzusetzen. Und mich nicht nur zu distanzieren. Und mindestens dafür zu sorgen, die Verantwortung zu übernehmen, dass nicht mehr andere dieselbe Kindheit erleben müssen wie wir. Und das ist die entscheidende Auseinandersetzung, die wir mit unserer Vergangenheit führen müssen. Ob es uns gelingt, weiß ich nicht. Weil wir auch nicht wissen, welche Herausforderungen in der Zukunft noch auf uns zukommen werden, sei es in ökologischer sozialer, wirtschaftlicher oder ethischer Hinsicht.

Wir wollen das Beste dafür tun. Dazu bleibt uns nichts anderes übrig, als uns immer wieder mit den neuen Wissensinhalten auseinander zu setzen, zu versuchen sie zu verstehen, und uns mit den Veränderungen in der Welt zu beschäftigen. Und laufend weiter zu arbeiten.

Ich selbst habe noch viel nachzuholen. Das weiß ich, und ich hoffe, dass ich, obwohl ich dieses Jahr 80 Jahre alt werde, dazu noch ein bisschen Zeit haben werde. Nun lässt aber das Gedächtnis nach, es treten Formulierungsschwierigkeiten auf, die Mobilität lässt nach. Dafür muss ich einiges tun. Und das gehört zum Lernen in dieser Lebensphase dazu, dagegen etwas zu tun:

Durch Training des Geistes, durch musische Beschäftigung und körperliches Training mich wenigstens dafür wach zu halten und damit auch anderen deutlich zu machen: Ihr Alten seid nicht die lästigen Greise, von Euch wird noch erwartet, dass für die kommenden Generationen etwas getan wird. Und dass Ihr diese wenigstens unterstützt, wenn sie unter neuen Bedingungen ihr eigenes Leben nach ihren eigenen Gesetzen, denen Ihr Spielraum geben müsst, neu gestalten wollen.

Anne-Christel Recknagel

Ich habe eher Fragen an diesem Punkt, und habe das, was mir auf dem Herzen liegt, noch gar nicht richtig formuliert. Nämlich mit dem lebenslangen Lernen stehe ich seitdem die Formulierung, diesem Motto, diesem Slogan vor 5-6 Jahren aufgekommen ist, auf Kriegsfuß. Mir fällt sofort zu dem lebenslang das lebenslänglich ein. Das ist gar nicht zu vermeiden.

Das ganze so zu propagieren, habe ich nie verstanden. Ich kann das nur verstehen, wenn ich kluge Analysen dazu lese, wie z.B. von Geissler. Der hat sich kritisch damit beschäftigt und sieht darin den verlängerten Arm der Wirtschaft und der Industrie. Die diese Art des Lernens nutzt, um ihre technologische Ausstattung besser zu verkaufen.

Für mich ist dies eine Vérités de Lapalisse, das Lebenslange Lernen. Das ist letztlich eine Lappalie. Weil letzten Endes alle Menschen ihr Leben lang lernen. Wichtig ist, mal Halt zu machen und sich zu gegenwärtigen: Woran lernen wir jetzt, was wollen wir in der nächsten Zeit lernen. Aber an ganz konkreten Dingen.

Ich weiß nicht, ob sie sich an die Briefmarke erinnern? Gut gemeint, aber bemitleidenswert. Mit folgendem Text: Also lautet der Beschluss, dass der Mensch, was lernen muss, Wilhelm Busch. Und dann hat die Deutsche Post hinzugefügt: Lernen kann man Gottseidank auch sein Leben lang. Lang… Lank… Ein misslungener Reim, ein unbeholfener Versuch, das lebenslange Lernen zu propagieren.

Dann möchte ich mich noch auf das Internet beziehen.

Ich erfahre in meiner Lehrtätigkeit, dass das Internet ziemlich katastrophale Auswirkungen auf die jungen Menschen hat, die da zu uns kommen und was lernen wollen. Weil sie erst beigebracht bekommen müssen, dass sie die Fähigkeit der Auswahl und der Selektion dessen, was das Internet an Überfluss bietet, lernen müssen. Eigentlich muss man ihnen das beibringen. Sie glauben, sich eigenes Denken ersparen zu können, wenn sie sich da etwas aus dem Internet runterladen, ohne zu wissen, was sie da an Inhalten herunterholen und selbst nicht verstehen können.

Für die Zukunft ist mir wichtig, dass wir auf unsere eigene Quellen und Ressourcen zurückgreifen. Lernen geschieht nicht einsam sitzend vor einer Maschine, sondern immer im Austausch mit anderen, mit Schülern und mit Lehrerinnen. Diese Erfahrungen machen wir auch immer, wenn die Schülerinnen das am eigenen Leibe und Kopf erfahren können, dass das besser geht.

Josef Ruhrmann

Meine eigene Lernerfahrung und das was ich für die Erwachsenenbildung gelernt habe, überzeugt mich davon, dass wir in der Erwachsenenbildung davon ausgehen müssen, dass die Erwachsenen ganz bestimmte Lernerfahrungen gemacht haben, und in ihrem Leben gelernt haben, wie auch immer. Und deshalb heißt Lernen in der Erwachsenenbildung: wir müssen auf die Teilnehmer/innen eingehen; wir müssen sie dort abholen, wo sie stehen. Und ihnen dann die Möglichkeit zu geben sich fortzubilden, noch mehr zu lernen, oder das was notwendig ist.

Ich mache seit 1963 einen eigenen Geschichtskurs bis heute. Und dort erfahre ich, da ich selbst nicht viel vom Internet halte, dass es sehr nützlich sein kann für die Teilnehmer. Denn da gehen einzelne Teilnehmer/innen ins Internet und holen zu einzelnen Anmerkungen, die ich gemacht habe Zusatzinformationen aus dem Internet herbei und stellen das dem Kurs zur Verfügung. Also ein sehr kreativer Umgang mit dem Lernen, dadurch dass sich Teilnehmer/innen im Internet auskennen und ihre Informationen aus dem Internet einbringen

Die Fragestellung, ist Lernen besser oder schlechter gewesen, ist unsinnig. Das Lernen, so lässt sich sagen, ist früher anders gewesen. Lernen reagiert auf die gesellschaftlichen Bedingungen, in die jeder Mensch hineingeboren wird. Von daher wird es auch in Zukunft bei den Lernverfahren immer wieder Veränderungen geben, die weder besser oder schlechter sind. Es gilt, sich auf die jeweilige Situation einzustellen.

Und von daher, fällt mir ein, dass ich auch mal kreativ darüber nachgedacht habe, welche Möglichkeiten an Lernverfahren für die Volkshochschulen bestehen. Als Möglichkeit sind mir die sogenannte Foren eingefallen. Jeder kennt die Foren im Fernsehen mit Will oder Maischberger und anderen. Und ich denke, dass die Volkshochschulen auch solche Foren anbieten sollten, wo unter Moderation des Leiters oder Mitarbeiters Politiker und Wissenschaftler. zu einem bestimmten gesellschaftlichen Problem Stellung nehmen. Und dazu werden die Teilnehmer eingeladen. Sie können sich an der Diskussion beteiligen. Und ich denke mir, dass das einen Lerneffekt hat. Dass sie einfach sehen: dass sie in einer demokratischen Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen haben und Einfluss auf die Politiker ausüben können. Und das können sie nur, wenn sie Probleme verstehen und bereit sind, sich an den Lösungen zu beteiligen.

Barbara Loer

Der Begriff Lebenslanges Lernen stammt nicht von Bildungsmenschen, die sich gedacht haben, wir müssen uns darum sorgen, dass Bildung sich mehr verbreitet. Sondern der Begriff stammt aus einem Schriftstück aus der Europäischen Union und hat das Ziel, die Menschen durch Lernen so anzupassen, dass die Europäische Union der beste Wirtschaftsraum wird, den wir je hatten. Mehr ist das nicht gewesen. Und alles was da im Augenblick dahinter gesetzt wird, ist nichts anderes wie ein Trojanisches Pferd.

Ich persönlich finde dass das Gerede vom Lebenslangen Lernen, das nichts anderes meint als Anpassungsfortbildung, den Bildungsbegriff, den wir leider im Augenblick nicht mehr haben, nicht ersetzt. Dieses Manko macht uns auch in der Erwachsenenbildung schwer zu schaffen.

Ich könnte mir für die Zukunft vorstellen, dass stärker als heute emotionale, kognitive, mentale und vielleicht auch politisch emanzipatorische Elemente eine größere Gleichrangigkeit erlangen. Das wäre jedenfalls aus meiner Sicht sinnvoll. Ein zweiter Punkt ist, dass das informelle Lernen und das selbstgesteuerte organisierte Lernen nicht ständig in den Gegensatz gebracht werden sollte, der heute oft konstruiert wird - ohne jeden Sinn und Verstand.

Ein dritter Punkt, den ich wichtig finde, weil ich zunehmend merke, dass das gemacht wird, ist, dass das Gerede vom informellen Lernen nicht missbraucht wird als eine ganz besondere versteckte Form von Anpassungsqualifizierung; Stichwort Profilpass und dergleichen. Das finde ich einen Missbrauch.

Noch ein Wort zum Internet. Ich glaube, dass die sogenannten neuen Medien unter der Voraussetzung, dass Menschen eine Medienkompetenz vermittelt wird, eine Hilfe bei der Informationsbeschaffung sein können und eine Unterstützung für die Ausweitung von Kommunikationsmöglichkeiten. Allerdings ohne die Vermittlung von Medienkompetenz wird’s ein bisschen problematisch.

Wie wird die Zukunft des Lernens möglicherweise aussehen? Vermutlich einerseits so wie schon immer gelernt worden ist, Wir alle, die Sie hier sitzen und wir hier vorn, lernen, weil wir Ziele haben. Wir lernen, weil wir überleben wollen. Wir lernen, weil wir bestimmte Sachen möchten.

Wir sollten darauf rekurrieren, was Bildung ausmacht. Bildung ist etwas anderes als die Kombination von Qualifikation und Kompetenz. Bildung hat etwas mit der Vermittlung von Werten zu tun, sie hat etwas damit zu tun, dass der Mensch als Subjekt wahrgenommen wird, nicht als ein Mittel zur Erhöhung des Profits von wem auch immer. Ich finde, dass Erwachsenenbildung in der Zukunft diese Ziele noch stärker in den Vordergrund stellen sollte als das derzeit geschieht.

Johannes Weinberg

Ich bin seitdem ich hier im Rahmen unserer Zusammenkunft von der Arbeit der Volkshochschule Stuttgart und aus der Umgebung aus Ostfildern gehört habe, der Meinung, dass institutionalisierte und organisierte Erwachsenenbildung auch aus der Tradition organisierter Erwachsenenbildung, wie wir sie in Deutschland verstanden haben, eine Zukunft haben kann.

Wir werden, und das ist durch die Beiträge deutlich geworden, die Zukunft nur hinkriegen können, wenn es im Lande nicht nur informell zwischen Kollegen und Kolleginnen, sondern auch immer wieder auf Zusammenkünften, die extra zum Zwecke des Gedankenaustauschs organisiert werden, zu einem Austausch kommt. Ob nun in kleinen Zellen in einer kleinen Region oder zwischen verschiedenen Metropolregionen. Da wird es nötig sein, nicht nur zu erzählen, sondern analytisch darüber nachzudenken, was da jeweils in der Arbeit gelingt und was da nicht gelingt.

Wir haben nur ansatzweise nachgefragt und ansatzweise Antworten erhalten, mit was für Anstrengungen das verbunden ist. Darüber müssen wir unter uns eine relative Öffentlichkeit herstellen. Denn in der Öffentlichkeit, in der durch die Medien hergestellten Öffentlichkeit, wird über die Chanen von Erwachsenenbildung der Art, wie wir heute davon gehört haben, nicht kommuniziert und ein ehrlicher Austausch zustande kommen. Dafür müssen wir uns eine eigene Öffentlichkeit schaffen.

Ich bedauere es fast, dass wir jetzt aufhören müssen, und den Austausch nicht fortsetzen können. Denn die Vernetzung, die dafür nötig ist, wird abgewehrt. Es wird gesagt: ja, dafür haben zu wenig Zeit. Aber sie muss Bestandteil unserer Alltagsarbeit sein. Die Hintergrundanstrengungen, der Volkshochschule hier und in Filderstadt, durch die hat sich das entwickeln lassen und in Kontinuitäten hineinbringen lassen. Das ist eine Tiefenstruktur und über diese Tiefenstrukturen müssen wir uns in Zukunft vernetzen. Denn die Informationsmedien stellen Wissen bereit, aber keine wirklich wirksamen Tiefenanalysen, die uns helfen.

Insofern würde ich sagen, die Zukunft des Lernens liegt in unserer Hand.

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